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Regula Dettwiler
Like a collection of butterflies Mit dem Titel '125 West 9th Street Greenwich Village' bezieht sich Regula Dettwiler in ihrer Fotoserie dezidiert auf den Film 'Rear Window' zu deutsch 'Das Fenster zum Hof' (1954) von Alfred Hitchcock. In diesem Psychothriller beobachtet ein Reportagefotograf, der durch ein Gipsbein dazu gezwungen ist, sich unbeweglich in seinem Appartement aufzuhalten, das rege Liebes- und Alltagsleben in den gegenüberliegenden Wohnungen eines Appartementhauses. Wie Regula Dettwiler recherchierte, handelt es sich um eine fiktive Adresse. Die real existierende Straße in Manhattan endet mit Nr. 124. Spannend ist bereits hier, dass Hitchcock bei der Verortung seines Thrillers trotz eindeutiger Bezüge von der Realität abweicht. Wie in Michelangelo Antonionis Kultfilm 'Blow up' (1966) ist es ein Fotograf, der durch seinen durch die Fotokamera forcierten Voyeurismus auf den Verdacht stößt, dass in seiner unmittelbaren Umgebung ein Mord passiert. Während in 'Blow up' sich trotz der Indizien die Spuren zwischen Realität und Imagination verwischen, kann in 'Rear Window' der Fall aufgeklärt werden. Auch in der Fotoserie von Regula Dettwiler folgt man der Blickperspektive einer Kamera und wird dadurch selbst zur Voyeurin. Die Makrofotografien vermitteln durch das Heranzoomen eine unheimliche Stimmung. Gleichzeitig wird durch die Vergrößerung die Durchlöcherung des Computermonitors und der direkte Vorgang des Abfilmens gegenwärtig. Als Ausgangsmaterial der Serie dienen computersimulierte Alltagsszenen von Immobilienwebsites, die für ihre zukünftigen Bauprojekte durch die Reanimation von realen Personen in 3-D simulierten Innen- und Außenräumen werben. Reale Lebenswelten werden mit Künstlichen kombiniert sodass geschlossene Systeme geschaffen werden, deren Logik der einer durch Kapital erwerbbaren Idylle entspricht. Meist sind die Personen in Businessdress zu sehen wodurch jener Typus der New Economy ins Spiel kommt für den die Freizeit zum Business wird und der auch noch Gefallen daran finden soll. Bei den Personen handelt es sich um 'Real People', die meist von SchauspielerInnen dargestellt werden und im Internet zum Verkauf angeboten werden. Als Statisten tauchen sie dann in unterschiedlichen virtuellen Kontexten auf den Immobilienwebsites oder auf diversen Homepages in der Architektenbranche auf. Regula Dettwiler hat selbst mehrere Personen, deren Bewegungsabläufe aus 600 Einzelbildern bestehen, gekauft und in ihrem Video zu einem Loop zusammengeschnitten. Wie sehr in diesen Statistenrollen stereotype Bewegungsabläufe festgehalten werden, aber auch kodierte Gesellschaftsnormen zum Ausdruck gelangen, äußert sich in den sich stets wiederholenden Gesten und in dem immerwährenden Lächeln in den Frauengesichtern. Ihnen ist die Rolle zugewiesen, die virtuellen Welten mit Leben zu erfüllen. Als 'Real People' werden diese Personen meist mit einer künstlichen Identität und mit einer fiktiven Story versehen. In ihren Videos animiert Regula Dettwiler die Figuren in einem monochromen Farbraum, der unendliche Weite suggeriert und lässt sie in ihren Gesten und Posen durch eine Verlangsamung der Abläufe zu 'tableaux vivants' gefrieren. Die Wahl der 'Real People' ist ein weiteres anachronistisches Indiz für jene künstliche Welten, deren Konzept der Aneignung von enigmatischen Animationen eine Angriffsfläche für das medial transportierte Versprechen von Idylle bildet. Dettwiler fokussiert in ihren Videos aber auch die virtuelle Begegnung zweier Menschen und setzt ihr 'Nicht-Verhältnis' als bestimmendes Element der Handlung. Regula Dettwiler befasst sich hier mit jenen soziostrukturellen Transformationen, die darauf verweisen, dass einzelne Personen nicht mehr mit einer stabilen sozialen Identität ausgestattet werden, sondern sozial ortslos sind. Denn die schimmernde, flexibilisierte Gesellschaftszustände widerspiegelnde Smoothness der Produkt- und Unternehmensoberflächen kaschiert dramatische Rückschritte in Bezug auf organisierte Arbeit und den Verlust erkämpfter sozialer Sicherheiten. Wenn der Blick wie durch eine Kamera auf die Bilder fällt, findet auch hier eine Wandlung ins Unheimliche statt. Regula Dettwiler betreibt durch ihre Ausdifferenzierung von Szenen virtueller Welten auch Studien darüber, dass es keine Rückkehr zu ehemals fixierten inhaltlichen Codierungen gibt. Vielmehr kündigt sich in diesen Brüchen eine Organisationsform des ganzen Systems an, ohne dass dessen Parameter eindeutig festgelegt sind. Gilles Deleuze hat die neue Formation nach ihrem Machttypus und um sich von der Disziplinargesellschaft abzugrenzen, Kontrollgesellschaft genannt. Aus Regula Dettwilers Auseinandersetzung mit der Repräsentationsfunktion dieser simulierten Welten resultiert eine kritische Reflexion über die ästhetische Selbstdefinition der Kontrollgesellschaft. Ursula Maria Probst |